60 Jahre Nato sind zuviel – und warum Präsident Obama die große Herausforderung der Friedensbewegung wird
Rede zum Auftakt der Protestkundgebungen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz 2009
Wenn künftige Generationen, so es sie noch geben wird, sich ein Bild machen wollen von einer schaurigen Qualität der Gesellschaft unserer Tage, dann müssen sie die Geschichte der Münchner Nato-Sicherheitskonferenzen studieren. Sie finden dort die Begründungen und Rezepte, wie man mit Raketen, Panzern und mobilen Eingreiftruppen jeden Widerstand gegen ein weltweites System niedermachen will, das den Globus und seine Bewohner in erster Linie als Ressourcen für den Höchstprofit eines grenzenlos mobilen Kapitals behandelt.
Gegründet wurde die Sicherheitskonferenz 1962 unter dem schönen Namen „Wehrkundetagung“. Der Gründer war selbstverständlich ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier, Ewald von Kleist. Sein erster Nachfolger war Horst Teltschik, im Jahr seines Amtsantritts noch sicherheitspolitischer Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Anschließend wurde er Vorstandsmitglied von BMW und danach Deutschland-Präsident von Boeing, eines der größten Rüstungskonzerne der Welt. Sein Nachfolger wiederum wurde im letzten Jahr Herr Wolfgang Ischinger. Dieser war zuvor u.a. Botschafter der Bundesrepublik in den USA und Staatssekretär im Außenministerium. Zeitgleich mit dem Posten als Chef der Münchner Sicherheitskonferenz brachte er es zum so genannten „Generalbevollmächtigten des Allianz-Konzerns für Regierungsbeziehungen.“
Die Sicherheitskonferenz ist schon von ihrem Führungspersonal her ein Unternehmen, wo Thron und Altar, also große Politik und Big Business, sich die heiligen Hände reichen. Die so genannte Sicherheit ist bei uns fest in Händen solcher, die an Hochrüstung und Militärinvestitionen prächtig verdienen. Niemand sollte sich wundern, dass sie dementsprechend aussieht.
Die Münchner Sicherheitskonferenz hat über all die langen Jahre hervorragende Arbeit im Sinne ihrer Auftraggeber geleistet. In den Neunziger Jahren hat sie die Diskussionen über den völkerrechtswidrigen Angriff der Nato auf Jugoslawien intellektuell und strategisch gebündelt und geschärft. Seit 2002 hat sie Strategie und Probleme des so genannten „Krieges gegen den Terror“ erörtert, u.a. mit dem Auftritt des damaligen BRD-Außenministers Fischer, der 2005 hier erklärte, es stünden sich weltweit zwei Systeme gegenüber, nämlich einmal der Terrorismus und zum anderen die gesamte westliche Welt.
Mit ihrem Konzept des „Krieges gegen den Terror“ haben diese Strategen von Bush über Fischer bis zu Obama und Merkel das Fundament gelegt für eine Zeit des „ewigen Krieges“. Denn, wie US-General William Odom schon im ersten Jahr des Afghanistan-Krieges ausführte, der Terrorismus ist kein Feind, er kann deshalb auch nicht besiegt werden. Terrorismus ist eine Taktik. Ihr den Krieg zu erklären, ist etwa so sinnvoll, sagt der US-General, als wenn wir nächtlichen Überfällen den Krieg erklären und erwarten, diesen zu gewinnen. Die Logik dieses ewigen Krieges lautet: Wir haben den weltweit überragenden Militärapparat. Wer sich gegen unsere Weltherrschaft auflehnt, muss zu einer asymmetrischen Kriegsführung, zu Mitteln des Terrors greifen. Dagegen führen wir dann weiter Krieg. Es wird immer einer übrig bleiben, schrieb Norman Mailer, der einen terroristischen Akt begeht. Also bleibt immer die Legitimation für unser militärisches Eingreifen.
Die These des damaligen deutschen Außenministers Fischer vom global bestimmenden Gegensatz zwischen der westlichen Welt hier und dem Terrorismus dort hat noch eine weitere verderbliche Konsequenz. Mit ihr soll aufgeräumt werden mit der Vorstellung gleichberechtigter Nationen der Welt, die im Rahmen der Vereinten Nationen nach den Prinzipien der Gleichberechtigung und Souveränität die weltpolitischen Probleme anpacken. Ganz folgerichtig wird heute versucht, die Nato zu einer „Globalen Allianz der Demokratien“ auszubauen, die auf UN-Prozeduren und überkommenes Völkerrecht keine Rücksicht mehr nehmen muss. Die Nato wird diesen Weg um so entschlossener einschlagen, als sich die Kräfteverhältnisse in der Welt mit der aktuellen Weltwirtschaftskrise weiter zu Ungunsten des Westens verschieben.
Wes Geistes Kind die Strategen dieser so genannten Sicherheitskonferenz sind, die seit heute unsere Stadt missbrauchen, zeigte sich beispielhaft 2006, als zum Preisträger der Münchner Friedensplakette wer ausgerufen wurde? Richtig, John McCain, dessen einziger Widerspruch zu George W. Bush darin bestand, dass er mehr Truppen für den Irak-Krieg forderte.
Wenn man sich die Agenda der diesjährigen Konferenz anschaut, dann werden gerade solche von uns, die nicht zum ersten Mal gegen eine Sicherheitskonferenz aufstehen, von Bangen erfüllt. 2002 wurden hier die Maßnahmen im „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan koordiniert. 2003 wurde der Angriff auf den Irak debattiert, der drei Monate später, mit verbaler Kritik, aber mit aktiver Unterstützung der Bundesregierung durchgezogen wurde.
Und in diesem Jahr stehen die Themen Afghanistan und Iran ganz obenan. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: der neue US-Präsident Obama ist fest entschlossen, Afghanistan zu seinem Irak zu machen. Zu einem Land, in dem er, nach eigener Aussage, Nato-Militär und Feuerkraft um ein Vielfaches erhöhen will. Zugleich drohen er und seine Top-Berater dem Iran mit einem militärischen Angriff, sollte der Iran weiter seine Atomenergiepläne verfolgen.
Was diese Frage des iranischen Atomprogramms anlangt, so sagen wir: Wir wollen und verlangen, dass keine neuen Atommächte entstehen und dass die Atomwaffen in den Ländern, wo sie bereits existieren, verschwinden. Es gibt kein internationales Recht, nach dem die USA, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Pakistan und Indien zum Besitz von Atomwaffen berechtigt sind, die anderen aber nicht. Wer vom Iran den Verzicht auf Atomwaffen verlangt, hat im selben Schritt die eigenen zu verschrotten.
Es ist eine Heuchelei, wenn die USA einerseits sich mit einem weltweiten Raketenring immun gegen Atomschläge machen wollen, um so ungefährdet ihren atomaren Erstschlag ausüben zu können, andererseits aber wegen noch nicht vorhandener Atomwaffen dem Iran mit einem militärischen Überfall drohen. Wie die New York Times vor wenigen Monaten offen gelegt hat, gibt es einen bis ins Einzelne zwischen den Regierungen der USA und Israels abgestimmten Plan für diesen Krieg.
Die größte Gefahr, dass es zu einem unvorstellbar schrecklichen Atomkrieg kommt, geht von den USA selbst aus. Sie haben die mit Abstand meisten Atomwaffen, sie sind das einzige Land, das solche Waffen schon einmal in einem Krieg eingesetzt hat. Ihre offizielle Sicherheitsstrategie betont die Option eines präventiven atomaren Einsatzes. Sie unterstützen ihnen genehme Regierungen wie in Indien und Israel beim Ausbau ihrer Atomwaffenarsenale. Die USA haben jedes Recht verwirkt, sich als Hüter einer globalen Atommoral aufzuspielen.
Die USA können sich in ihren Aggressionsplänen ihrer Nato-Partner sicher sein, insbesondere ihres deutschen Partners. Angela Merkel hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2004 – damals war sie noch die Führerin der Opposition im Bundestag – ausdrücklich den Krieg als Mittel der Politik gutgeheißen. Um „Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen“ und um „den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen“, sagte sie damals, müssten wir „alle Mittel in Betracht ziehen, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern“.
Heute als Kanzlerin begrüßt sie zusammen mit Frankreichs Präsident Sarkozy die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz mit der Fanfare, die Kombination von zivilen und militärischen Mitteln sei das Markenzeichen der europäischen Sicherheitspolitik. Die beiden wünschen sich eine noch engere Zusammenarbeit von EU und Nato und versichern, die Europäische Integration und die Atlantische Partnerschaft seien zwei Seiten einer Medaille.
Glaube also niemand, die Europäer würden ein gewissermaßen friedliches Gegengewicht zum Nato-Boss USA auch nur bilden wollen.
Jedermann, jedenfalls wohl alle, die hier auf diesem Platz versammelt sind, hat sich darüber gefreut, dass mit Barack Obama endlich ein Schwarzer Präsident der USA wurde. Alle haben wir sozusagen in die Tränen der Bürgerrechtler eingestimmt. Und es ist auch erfreulich, dass im Weißen Haus wieder ein Mann sitzt, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger seine fünf Sinne beisammen hat. Allerdings darf uns dies nicht daran hindern zu sehen, dass Obama in der Außen- und Sicherheitspolitik eine gefährliche, eine reaktionäre Linie verfolgt.
Als er sein sicherheitspolitisches Team vorstellte, sagte Obama, ihm ginge es darum, einen neuen Aufbruch zur amerikanischen Führung der Welt einzuleiten. Es seien die amerikanischen Werte, die der größte Export Amerikas in die Welt seien. Und um die globale Führerschaft zu sichern, müsste die militärische Stärke der USA erhalten bleiben.
Das alles hätte George W. nicht schrecklicher sagen können. Zu befürchten steht aber, dass Obama diese Politik viel effizienter durchsetzt, als dies Bush je gelang.
Was die Strategie der USA im Nahen und Mittleren Osten anlangt, so wird sie seit drei Jahrzehnten bis heute von der sog. Carter-Doktrin bestimmt. Im Januar 1980 hatte der damalige US-Präsident Carter folgende Erklärung abgegeben: „ Ein Versuch einer auswärtigen Macht, Kontrolle in der Region des Persischen Golfs zu gewinnen ( und damit den Öltransport zu gefährden), wird als ein Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet, und einem solchen Angriff wird mit allen nötigen Mitteln entgegen getreten, einschließlich militärischer Gewalt.“
Carter fuhr fort: „Die Region, die jetzt bedroht ist durch die sowjetischen Truppen in Afghanistan, ist von größter strategischer Bedeutung. Sie beherbergt mehr als zwei Drittel der Ölreserven der Welt.“
Alle Präsidenten seitdem haben sich auf diese Carter-Doktrin berufen. Das belegt vor allem: Es ging den USA nie um Menschenrechte oder Demokratie in diesen Ländern, es ging immer nur um die Frage Öl. Sehr Gutgläubige führen manchmal ins Feld, aber in Afghanistan gibt es doch gar kein Öl. Carter hatte sie damals schon eines Besseren belehrt: Es geht darum, Pipelines, Transportwege zu nutzen, die an Russland oder dem Iran vorbeiführen. Dazu ist Afghanistan unverzichtbar.
Was verbindet die Carter-Doktrin und den Präsidenten Obama? Der Sicherheitsberater Carters, der die Doktrin damals wesentlich formulierte, heißt Zbigniew Brzezinski, und dieser Brzezinski ist heute einflussreicher Berater Obamas, er war im Wahlkampf die wesentliche Autorität für seine außenpolitische Haltung.
Die anderen Mitglieder seines Sicherheitsteams sind von ähnlichem Kaliber. Hillary Clinton, die Außenministerin, hat jeden einzelnen Antrag Bushs zur Ausweitung des Irak-Kriegs unterstützt. Sie ist eine militante Freundin der Israel-Lobby in den USA, d.h. der Kräfte, die keinen Ausgleich mit den Palästinensern wollen, sondern auf ihre dauerhafte Unterdrückung setzen.
Der neue Sicherheitsberater James L. Jones, war Chef der Nato-Truppen auf dem Balkan, der „Koalition der Willigen“ im Irak, Oberkommandierender in Afghanistan und der Nato insgesamt, und nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst in den Aufsichtsräten von Boeing und Chevron, zwei tragenden Säulen des Militär-Öl-Komplexes in den USA.
Die neue US-Botschafterin bei den UN, Susan Rice, die Obama auch ins Kabinett berufen hat, hat vor kurzem eine Studie in einem neokonservativen Institut mitveröffentlicht, worin der militärische Angriff auf den Iran propagiert wird.
Und der neue Verteidigungsminister Gates ist der alte, der sich schon unter Präsident Bush um die US-Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan verdient gemacht hat.
Mit Obama, Freundinnen und Freunde, sind die Anforderungen an die Friedensbewegung nicht geringer, sondern größer geworden. In den Augen vieler ist er die Heilsgestalt des neuen Jahrhunderts. Man wird ihm folgen, wohin man Bush, dem vermeintlichen Kretin, nicht gefolgt wäre.
Sei es die Verdoppelung der Nato-Truppen in Afghanistan, wie jetzt in Washington geplant, sei es die Verlängerung des Kriegs im Irak, wo Obama schon abgerückt ist von seinem Wahlversprechen, die US-Truppen würden innerhalb von 16 Monaten das Land verlassen. Jetzt heißt es, das Verlassen müsste „verantwortlich“ geschehen, was heißen soll, es müssten erst Strukturen im Land vorhanden sein, die den USA passen.
Das wird nicht leicht werden. 4,5 Millionen Iraker wurden aus ihren Häusern vertrieben, das ist jeder sechste Landesbewohner. Die Hälfte von ihnen sind jetzt Flüchtlinge. Eine Million Menschen wurden getötet, im Irak gibt es 5 Millionen Waisen. Der „Krieg gegen den Terror“ hat unvorstellbare Verheerungen angerichtet.
Obama will jetzt in Afghanistan den selben Weg einschlagen. In Afghanistan regiert die Besatzungsarmee der Nato. Dies tut sie de facto auch im Kosovo. Es kann kein Zufall sein, dass dies exakt die beiden Länder sind, in denen Kriminalität und Drogen die bestimmenden sozialen Faktoren sind.
60 Jahre Nato – auch wer früher dachte, man brauche ein Gegengewicht gegen den Warschauer Pakt, der bekanntlich seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr existiert, der muss sich heute fragen: Brauchen wir wirklich eine globale Militärmaschine, die alles niedermäht, was den Öl- und sonstigen Wirtschaftsinteressen des Westens entgegensteht?
Eine bessere Welt ist möglich, eine andere Welt ist nötig. Die Nato ist ein gewaltiges Hindernis auf dem Weg zu einer besseren Welt. Sie muss weg. 60 Jahre Nato sind nicht bloß genug, es sind viel zu viele.